Gut fühlen beim Sex - wie?
Sexuelles Wohlbefinden ist weit mehr als nur ein Aspekt unseres Lebens - es ist ein grundlegender Bestandteil unserer Gesundheit und unseres Wohlbefindens.
Wenn unser sexuelles Wohlbefinden gestört ist, sei es durch Schmerzen, Unlust oder auch Beziehungsproblemen, kann dies nicht nur mit Unzufriedenheit oder Enttäuschung einhergehen, sondern sich auch auf unsere allgemeine Lebensqualität und mentale Gesundheit auswirken. In diesem Artikel werfen wir einen genaueren Blick darauf, was sexuelles Wohlbefinden bedeutet, warum es so wichtig ist und welche Aspekte dabei eine Rolle spielen.
Was bedeutet eigentlich “Sex”?
Mit Sex ist nicht nur peno-vaginaler Geschlechtsverkehr (Einführen von Penis in die Vagina) gemeint. Der Begriff Sex umfasst eine ganze Bandbreite sexuellen Verhaltens, die bereits bei Küssen, Umarmungen oder Streicheln beginnt. Sex kann manuelle Stimulation der Genitalien beinhalten, die Penetration der Vagina, des Afters und des Mundes (also Vaginalverkehr, Oralverkehr, Analverkehr) mit verschiedenen Körperteilen und Objekten, wie Penis, Finger(n) oder Sextoys. Es müssen aber auch nicht immer die Genitalien involviert sein, da jeder Mensch andere erogene Zonen haben kann, also das Berühren unterschiedlicher Stellen als lustvoll empfinden kann, wie zum Beispiel Nippel oder Ohren. Sex beschreibt nicht nur die sexuelle Aktivität mit anderen Menschen, sondern auch die mit dir selbst. Dies nennt man auch “Solo-Sex”.
Sexuelles Wohlbefinden
Sexuelles Wohlbefinden und sexuelle Gesundheit sind so wichtig, dass sich auch die Weltgesundheitsorganisation (WHO) damit befasst. Die WHO definiert sexuelle Gesundheit als „...ein Zustand des körperlichen, emotionalen, geistigen und sozialen Wohlbefindens in Bezug auf die Sexualität; sie ist nicht nur das Fehlen von Krankheiten, Funktionsstörungen oder Leiden. Sexuelle Gesundheit erfordert einen positiven und respektvollen Umgang mit Sexualität und sexuellen Beziehungen sowie die Möglichkeit, lustvolle und sichere sexuelle Erfahrungen zu machen, die frei von Zwang, Diskriminierung und Gewalt sind. Um sexuelle Gesundheit zu erreichen und aufrechtzuerhalten, müssen die sexuellen Rechte aller Menschen geachtet, geschützt und erfüllt werden.“ (WHO, 2006).
Warum haben wir Sex?
Es gibt viele verschiedene Gründe, warum Menschen Sex haben. Es gibt gute Gründe (z.B. eigene Lust, Wunsch nach Verbundenheit) und weniger gute Gründe (z.B. Angst, verlassen zu werden, wenn man Sex mit dem Gegenüber ablehnt). Die drei Dimensionen der Sexualität nach Beier und Loewit (2004, 2011, 2013) erklären die zugrundeliegenden Motive von Sexualität. Alle Gründe, kann man drei Dimensionen der Sexualität zuordnen, die jeweils verschiedene Funktionen erfüllen: Die Lust-, Beziehungs- und Fortpflanzungsdimension. Diese Dimensionen sind bei uns je nach Lebenslage und Situation womöglich von unterschiedlicher Bedeutung und beeinflussen, wie wir Sexualität leben. Die einzelnen Dimensionen schließen einander auch nicht aus, sondern können einander sogar verstärken.
Drei Dimensionen der Sexualität nach Beier & Loewit (2004)
Die Lustdimension umfasst die Sexualität in allen denkbaren Formen des Erlebens und der Steigerung des Lusterlebens durch sexuelle Stimulation. Die Fortpflanzungsdimension steht für die Bedeutung der Sexualität bei der Fortpflanzung, zum Beispiel, wenn das Ziel der sexuellen Aktivität die Erzeugung eines Kindes ist. Die Beziehungsdimension hingegen betont die Bedeutung der Sexualität für die Erfüllung der Grundbedürfnisse nach Akzeptanz, Nähe, Wärme und Geborgenheit durch sexuelle Kommunikation in der Partnerschaft.
Welche Gründe spielen für dich derzeit eine wichtige Rolle? Welche womöglich bei deinem Gegenüber? Ein zu starker Fokus auf nur eine der Dimensionen kann zu Problemen führen. Steht aktuell beispielsweise nur der Kinderwunsch im Vordergrund, kann dies dazu führen, dass die sexuelle Funktion (z.B. Errektionsaufbau, Lusterleben) als auch das Beziehungserleben im Paar nicht mehr wie gewünscht vorhanden ist. Das Bewusstmachen über die aktuelle motivationale Lage und die Gründe für Sex kann damit sehr wichtig und erkenntnisbringend sein.
Sexualität im bio-psycho-sozialen Spannungsfeld
Sexualität ist nicht nur ein körperlicher Prozess, sondern umfasst auch unsere Gefühle und Gedanken. Es spielen also bio-psycho-soziale Faktoren eine Rolle. Sexualität wird beeinflusst von körperlichen Voraussetzungen, Einstellungen und Vorstellungen über Sexualität, emotionalen Zuständen und bisherigen Beziehungserfahrungen. Manche von diesen Faktoren können das Risiko für die Entstehung und Aufrechterhaltung von sexuellen Problemen erhöhen. Meist ist es dann das Zusammenspiel von mehreren Faktoren, was dazu führt, dass Belastung entsteht. Das Bewusstmachen der unterschiedlichen Faktoren kann helfen, besser zu verstehen, wie es zu belastenden Problemen in der Sexualität gekommen ist.
💡Beim Bewusstmachen kann dier der GYDE Fragebogen weiterhelfen!
Muss ich “funktionieren” für eine erfüllte Sexualität und sexuelles Wohlbefinden?
Wichtig ist, dass auch eine Person mit Schmerzen beim Sex eine erfüllte Sexualität finden und erleben kann. Schmerzen beim Sex sind nicht normal und es sollte auch nicht das Ziel sein, diese einfach “auszuhalten”. Es geht darum, die Schmerzen zu reduzieren und bei Bedarf andere schmerzfreie Praktiken und Techniken in den Fokus zu rücken, um wieder sexuellen Genuss und Sicherheit erleben zu können.
Viele Personen, die sich in der Sexualmedizin vorstellen, erleben beispielsweise Schmerzen bei der Penetration der Vagina. Diese Schmerzen können an der Vulva sein, am Vaginaleingang oder auch tief in der Vagina. Diese führen oftmals zu starker Belastung und bleiben im Gesundheitssystem häufig unerkannt bzw. unbehandelt. In der Sexualmedizin versuchen wir aus einem interdisziplinären Team aus Gynäkolog:innen, Psycholog:innen und weiteren Fachrichtungen die Ursache der Schmerzen zu finden und bio-psycho-sozial zu behandeln. Das kann z.B. das Ausprobieren einer Creme beinhalten, die Benutzung von Biofeedback-Geräten oder das in Anspruch nehmen einer Sexualtherapie, alleine oder im Paar. Sexualtherapie kann dabei helfen, die Schmerzen und Auslöser besser zu verstehen, sich den eigenen sexuellen Bedürfnissen und Grenzen bewusst zu werden und diese dann auch mit einer anderen Person kommunizieren zu können.
Es gibt aber auch so viele andere Praktiken, die womöglich sogar mehr Lust und Erregung bringen können als Penetration. Tatsächlich erlebt nur eine geringe Anzahl von Frauen (18.4%) einen Orgasmus durch rein peno-vaginalem Geschlechtsverkehr (Herbenick et al., 2017). Selbstbefriedigung und das Erkunden des eigenen Körpers ist die beste Voraussetzung, um herauszufinden, was dir gefällt und was nicht. Es geht beim Sex also nicht um körperliches “funktionieren”, sondern um das Erleben von Genuss, Lust, Befriedigung und Zufriedenheit (= “Pleasure”). Es geht um eine Erfahrung, die wir gerne erneut erleben möchten.
💡Sex hat viele Facetten. Jede Facette ist in Ordnung - es geht darum, die Facetten zu finden, die dir gut tun und dein Wohlbefinden steigern.